9 Flucht an Weihnachten

Das erste Weihnachten ohne unsere kleine Johanna...


Es ist 1. Weihnachten - ich sitze auf dem Bett in unserem Hotelzimmer, bin gerade von einer sehr entspannenden Massage zurückgekommen, aber mir schwirren so viele Gedanken durch den Kopf. Da Jonas jetzt bei der Massage ist habe ich Zeit sie aufzuschreiben. Hab zwar kein Laptop dabei und am Handy ist es etwas nervig so viel zu tippen, aber ich weiß, dass wenn ich es einmal aufgeschrieben und sortiert habe, mein Kopf wieder freier, meine Seele wieder leichter ist und ich den Urlaub dann hoffentlich voll und ganz genießen kann…

      

Immer wieder haben uns Leute gesagt und ich habe es hier und da auch gelesen, dass der Verlust eines Kindes (bzw. generell bei Trauer) an Weihnachten nochmal schlimmer ist und der Schmerz und die Trauer oft an diesen Tagen nochmal sehr viel präsenter ist. Also dachte ich, am besten allen Feierlichkeiten und Menschen aus dem Weg gehen. Familienfeiern sind ja im restlichen Jahr schon immer herausfordernd, weil ich dann unsere kleine Johanna so sehr vermisse – sie fehlt dann einfach, also am besten an Weihnachten keine haben, dann wird es schon nicht so schlimm wie immer gesagt wird. Dachte ich, aber wie dumm und naiv ich doch war und eigentlich hätte ich es besser wissen müssen. Auch wenn ich den normalen Weihnachtsfeierlichkeiten aus dem Weg gehe und wir wegfahren ist dennoch Weihnachten und unsere Tochter nicht bei uns. Somit ist die Flucht vor Weihnachten und dem Schmerz irgendwie fehlgeschlagen… Ich war echt begeistert von meiner Idee dieses Jahr über die Feiertage in den Urlaub zu fahren. Im Herbst die 4 Tage hatten uns so unglaublich gutgetan und daher freute ich mich sehr darauf ins Hotel zu fahren. Ein bisschen Wandern, Wellness und viel Zeit mit meinem Schatz!

 

Wie naiv das war, wurde mir gestern so richtig bewusst. Nachdem wir schön spazieren waren, den Gottesdienst unserer Gemeinde im Livestream geschaut hatten, wir im warmen Whirlpool gelegen hatten und wieder zurück auf dem Zimmer waren und Jonas mich fragte was los ist…

 

Ich vermisse sie so sehr. Unsere kleine Johanna, das hätte ihr erstes Weihnachten mit uns, unser erstes Weihnachten als Familie sein sollen. Stattdessen sind wir immer noch zu zweit. Ich wünsche mir so sehr ein Kind und eine Familie. Ich möchte wieder jemandem meine Liebe, diese unglaubliche Liebe zum eigenen Kind schenken, die ich seit Johannas Geburt so extrem verspüre. Sie, diese überwältigende Liebe ist da, aber Johanna fehlt um sie ihr geben zu können, wem soll ich sie also geben? Ich möchte wieder ein Kind in meinem Bauch haben, meinen Bauch streicheln und an unser Kind denken und ihm schon all diese Liebe zu senden. Ich sehne mich so sehr nach einem Kind, dem ich diese Liebe schenken kann damit sie nicht mehr ziellos in der Luft hängt und nirgends ankommt.

 

Und oh man, wie verrückt, als wir den Weihnachtsgottesdiesnt schauten wurde ich immer trauriger. Ich konnte spüren, wie schwer mein Herz wurde und meine Gedanken zu unserer Johanna wanderten. Erst wusste ich nicht warum aber dann dämmerte es mir – ich hörte wie unser Pastor die Weihnachtsgeschichte erzählte – eine schwangere Frau, auf einem herausfordernden Weg, ein gesundes zur weltgekommenes Kind - ganz unabhängig von dem wer dieses Kind ist: eine Mutter bekommt ein Baby. Hätte es nie gedacht, aber es fiel mir schwer das anzuhören, weil ich mir selbst so sehr ein Kind wünsche und dafür so viel tun würde. Keine Ahnung ob ich wirklich mein Kind in einem Stall bekommen wollte, aber in dem Moment habe ich nur gedacht, ja war schwer alles aber immerhin hat sie ein lebendes Kind zur Welt gebracht… Ich war den ganzen Gottesdienst lang angespannt und vermisste Johanna und vermisste ein Kind in meinem Bauch, unser 4. Kind, das es noch gar nicht gibt und vielleicht nie geben wird. Wie kann man das vermissen?

 

In unserem Paaradventskalender war am 24.12. die Frage: „Bist du glücklich? Kannst du diese Frage mit einem beherzten JA beantworten? Wenn nicht: Was müsste sich für dich ändern, um diese Frage so zu beantworten?“ * Eigentlich bin ich glücklich, meistens aber nicht immer, also voll und ganz Ja sagen kann ich wohl gerade nicht. Muss ich das überhaupt zu jeder Zeit? Was fehlt mir um das zu können? Es sind keine materiellen Dinge, ich glaub es ist nicht mal ein lebendes Kind – es ist meine Einstellung! 

Schaue ich nur auf das was da ist, was ich habe, womit ich beschenkt bin, dann bin ich glücklich. Aber wie oft wandern meine Gedanken und Gefühle zu dem was ich nicht habe und was ich mir wünsche und dann bin ich nicht glücklich.

Ob das wohl eine der pfiffigen Strategien des Teufels sind um mich zu verwirren und mich davon abzuhalten „all in“ mit Gott zu gehen und ihm voll und ganz zu vertrauen, indem er mir immer wieder das vor Augen hält was ich nicht habe? Er mich daran zweifeln lässt, dass Gott es auch gut mit mir meint, wenn er mir nicht das gibt was ich mir wünsche.

Obwohl ich darum doch eigentlich weiß und ich mich immer wieder dazu entscheide den Lügen nicht zu glauben und mich nicht immer wieder in meine Sorgen, Ängste und Unzufriedenheit fallen lassen will. Passiert es immer wieder. Ich merke es meistens inzwischen schneller. lmmer wieder muss ich mir selbst STOP sagen. Ich muss mich immer wieder dazu entscheiden Gott zu vertrauen, auch wenn es sich manchmal erst nicht so anfühlt, in seinen Armen darf ich erleben wie er mich sieht und befreit, für mich kämpft und ich mich einfach hinter ihm, seinen Zusagen und Worten, ganz praktisch verstecken darf, in dem ich meinen negativen Gedanken und meiner Seele Bibelverse und Gottes Liebe entgegen werfe.

 

Ich darf vermissen und traurig sein, aber ich darf auch wieder bei Gott auftanken und glücklich sein – das klingt als würde es sich widersprechen, aber ich denke das tut es nicht, bzw. muss es nicht. Ich darf immer wieder traurig sein, Johanna vermissen und dennoch kann ich voll und ganz glücklich sein, weil ich in Gottes Händen sicher und geborgen und wie extrem doll geliebt sein darf.

 

Wie groß und heftig meine Liebe zu unseren Kindern ist, wie viel mehr muss Gottes Liebe zu uns sein? Mich schmerzt es, dass meine Liebe kein Gegenüber hat und sie gefühlt nirgends ankommt, weil niemand da ist dem ich sie geben kann und der sie aufnimmt. Wie viel mehr schmerzt es wohl Gott, wenn wir seine Liebe nicht annehmen, weil wir sie abwehren und gegen ihn rebellieren?

 

Ich muss nicht an Weihnachten, sowie an allen anderen Tagen, flüchten, versuchen vor der Trauer und dem Schmerz und der Anstrengung, die diese mit sich bringen weglaufen, ich darf mich in Gottes Arme fallen lassen und dort trauern und mich trösten und lieben lassen.  

 

 

* Lieblingszeit – Der Adventskalender für Paare von Margaret Kleske


Tabea - 25. Dezember 2021