2 Unsere letzten anderthalb Jahre

Diesen Brief schrieb ich im Juni 2021 meiner Familie...


Hey ihr, ich hab mich gefragt, warum ich so oft nur mit Freunden darüber spreche wie es mir geht was mich beschäftigt und worüber ich nachdenke und so wenig mit meiner Familie… Daher schreibe ich euch jetzt einfach mal… 

Viele Gedanken, Tränen und Ängste sind die letzten anderthalb Jahre durch und aus mir raus geflossen. Tage, an denen ich denke ich schaffe keinen weiteren, ja keinen einzigen weiteren Schritt mehr, weil mir einfach jegliche Kraft und Hoffnung fehlt. An denen einfach alles schrecklich, dunkel und hoffnungslos scheint. Und selbst weinen und schreien zu anstrengend ist und ich mich völlig erschöpft und ausgelaugt fühle. Tage, an denen ich wieder Hoffnung hatte und es aufwärts ging, um dann einige Tage oder Wochen später nur noch tiefer und erbarmungsloser zu fallen. Momente in denen ich mich so alleine und verlassen von allen Menschen und von Gott fühlte. Viele Tage (besonders im letzten Jahr) an denen ich so sauer und so unfassbar wütend auf Gott war, ihm gesagt hab was für ein Mistkerl er doch ist, ich ihn absolut nicht verstand und keine Bibelverse o.ä. helfen konnten, im Gegenteil die meisten taten nur noch mehr weh und verletzten mich. Aber ich wollte wieder zu ihm, ich wusste ich kann es nicht alleine und ich brauche seinen Halt und seine Kraft aber wo war er, wieso hielt er mich nicht, ich sehnte mich so nach ihm. 

Viele Wochen und Monate, Predigten, Worte von Freunden, Lieder, Beten von anderen Menschen hab ich gebraucht um wieder Vertrauen zu Gott aufzubauen. Stück für Stück durfte ich ihn wieder finden und tiefer verstehen lernen. Aber es war harte Arbeit mit unfassbar vielen Tränen und Rückschlägen. Gefühlt immer ein Schritt vor und dann wieder zwei zurück. 

Im Oktober/November 2020 erfüllte mich endlich ein Mega-Frieden, den ich zuvor so oft versucht hatte zu finden. Er war auf einmal da, was plötzlich anders war kann ich nicht sagen, aber ich wusste Gott ist gut und treu und Jonas und ich werden ein super schönes Leben haben, mit oder ohne Kinder, ganz egal. Weil Gott da ist, uns hält und das Beste plant und ich einen super tollen Mann an meiner Seite haben darf. 

Wir fühlten uns nochmal so viel näher an Gott und an uns beide (auch wenn wir uns nach jeder Krise fragen, wie das sein kann, sich noch näher zu sein als zuvor). Kein Monat später war ich wieder schwanger und ich dachte Gott belohnt uns damit, weil wir an ihm dran geblieben sind und so hart gekämpft haben, ihm wieder zu vertrauen und näher zu kommen (was für ein verrücktes Denken, aber das ist ein anderes Thema). Freude und Unsicherheit teilten sich die ersten Wochen und dann war der Zeitpunkt der letzten beiden Fehlgeburten überstanden und wir waren uns so sicher, diesmal geht alles gut und wir bekommen endlich unsere große Sehnsucht erfüllt.

Jonas schrieb im Dezember folgendes kurzes Gedicht:


2020 was für ein wildes Jahr,

Kaum eine Krise nicht da.


Wir sind uns näher als je zuvor.

So bringt Schlimmes Gutes hervor.


Ich liebe dich ganz schön doll,

man war das Jahr echt voll.


Nun wird ein Traum endlich wahr,

Wir wünschten schon es wäre da.


Freue mich auf dieses Abenteuer,

auch wenn mir manchmal nicht geheuer.

Mir ging es echt nicht gut und das war ich so gar nicht gewohnt, mich so lang am Stück so besch… zu fühlen und nicht das machen zu können was ich gerne machen würde. Und ich hab zu Jonas gesagt, wenn das wieder nicht gut geht, dann werde ich nie wieder schwanger, dann will ich keine Kinder, immer so viel leiden müssen und dann am Ende nichts davon zu haben, das mach ich dann nicht mehr mit. Ich muss jetzt schmunzeln wenn ich daran denke, denn unser Wunsch nach eigenen Kindern ist nun, nachdem wir unsere Johanna in den Händen halten durften, noch größer als je zuvor. 

Während der Schwangerschaft las ich ein Buch: Beten für mein Baby (Jennifer Polimino und Carolyn Warren), eine Art Wochentagebuch, mit kurzen Impulsen zum Beten für das Kind, während der Schwangerschaft aber auch schon weit darüber hinaus fürs ganze Leben. Dieses Buch habe ich jetzt schon dreimal angefangen und ich hoffe sehr, ich darf es irgendwann bis zum Schluss durchlesen und durchbeten. Manche Gebete für unsere kleine Johanna sind, so absurd das klingt, jetzt sowas von erhört. Unsere kleine Tochter ist schlichtweg perfekt, so wie wir hier auf der Erde nie sein werden und sie hat es mega perfekt so wie wir es hier nie erleben werden. Ich liebe Jonas Satz, den er recht am Anfang zwischen Tränen gesagt hat: „Unsere kleine Johanna ist geboren und direkt durchgestartet in die Ewigkeit zu Gott und muss diesen ganzen Mist hier nicht erleben“.  

Vor kurzem ist mir ein Lied begegnet was mich sehr tröstet und ermutigt (WHEN I’M GONE – Roy Tosh). Auch wenn wir sie vermissen ist sie bei Gott und hat es einfach perfekt, keine Verletzungen, keine Fragen auf die die Antworten fehlen, kein Hoffen und Bangen, weil alles schon da ist was sie braucht! Sie muss niemals weinen, leiden, Schmerz fühlen, Angst haben, fühlt sich niemals wertlos, etc. – wie toll ist das eigentlich. Das ermutigt mich sehr und wenn ich daran denke kann ich, lächelnd und dankbar für unsere kleine Maus, Johannas Fotos anschauen und mich an sie erinnern.

Seit ein paar Tagen darf ich wieder diesen tiefen unerklärlichen Frieden erleben. Sicher, dass Jonas und ich ein tolles, erfülltes Leben haben werden, mit oder ohne eigene Kinder im Alltag. Dass Gott uns gebrauchen will und wir seine Werkzeuge sein dürfen, auch wenn es vlt. anders wird als wir uns das vorstellen. Es wird bestimmt auch weiterhin Tage oder Dinge geben die schwer sind, an denen die Trauer stärker ist und der Wunsch nach Familie groß ist, aber wir sind uns sicher, dass Gott uns begleitet und durchträgt und es besser weiß und dass das nicht nur irgendeine fromme Floskel ist, die man sich sagt um sich nicht weiter damit auseinandersetzen zu müssen, dass Gott uns nicht alles gibt was wir uns wünschen und dass das Leben so oft so ganz anders verläuft als wir es planen. 

Wir sind unfassbar gesegnet mit Menschen um uns herum (durch die uns Gott immer wieder begegnet ist), die uns liebevoll begleiten, unterstützen und Anteil nehmen, viele Beziehungen sind in den letzten Jahren intensiver geworden, gerade durch diese Krisen und schweren Zeiten. Wir durften/mussten viel lernen und viel erleben, wir möchten es nicht mehr missen auch wenn wir es nicht so gerne wiederholen würden ;) Und auch unsere Johanna vermissen wir, aber missen möchten wir sie in unserem Leben auf keinen Fall. 

Und wir sind super mega dankbar für euch als unsere Familie!


Tabea 28. Juni 2021