14 Johannas erster Geburtstag

 

Jetzt ist Johannas erster Geburtstag schon gut zwei Wochen her. Gerne möchte ich euch nun ein bisschen von ihrem Tag erzählen. Und anders als gedacht war es ein wunderschöner, ja fast unbeschwerter Tag...


Der 12. März 2022, Johannas erster Geburtstag

 

Die Tage davor waren so komisch. Ich sah diesen Tag immer näherkommen und ich hatte Angst vor ihm. Keine panische Angst, aber eine gewisse Unsicherheit wie dieser Tag wohl werden würde. Ob die Trauer wieder Überhand gewinnen würde, ob ich kraftlos und erschöpft sein würde? Ob ich wohl viel weinen würde? Ob alles was wir uns überlegt hatten wohl aufgehen würde? Lange habe ich überlegt, wie wir diesen Tag gestalten sollen. Es hat mich eine Weile fast gestresst, dass ich nicht genau wusste wie ich diesen Tag verbringen wollte. Er sollte besonders sein, aber nicht zwanghaft und nicht der Versuch sein, sich an irgendwas krampfhaft festzuklammern oder Rituale oder Dinge zu tun, die nicht zu uns passen oder uns nicht liegen auch wenn sie vielen anderen Familien schon in ihrer Trauer geholfen haben. Zusammen mit Jonas überlegte ich immer wieder und wir planten Johannas Geburtstag.

Johannas kleiner Geburtstagskuchen
Johannas kleiner Geburtstagskuchen

Die letzten zwei Tage vor ihrem Geburtstag war ich sehr angespannt. Wir sagen bewusst Geburts- und nicht Todestag, denn auch wenn sie nicht bei uns ist, ist sie nicht einfach tot, sondern geboren und wie Jonas es nennt: Direkt durchgestartet in die Ewigkeit zu Gott. Alles war geplant, aber das Abwarten fiel mir schwer, also entschied ich mich am Freitag kurzer Hand dazu noch einen kleinen Kuchen zu backen. So hatte ich was zu tun und konnte meiner Liebe, die so oft nirgends hin kann, weil Johanna nicht da ist um sie ihr zu geben, ein bisschen Ausdruck verleihen. Ich vermisste sie, ich wollte sie so gerne nochmal in den Arm nehmen, ihre Nähe spüren, ihren Duft riechen und sie knuddeln. Ich musste so viel an sie denken. Ob sie wohl ein ruhiges oder eher ein lebhaftes Mädchen wäre, wie sie wohl aussähe…

 

Als ich mir am Freitag Musik am Handy anmachen wollte, schlug es mir das Lied „When i‘m gone“ von Roy Tosh vor. Ich hatte dieses Lied so lange nicht gehört und auch nicht mehr dran gedacht. Aber jetzt ging es mir kaum noch aus dem Kopf und ich hatte einen Ohrwurm. Dieses Lied hat mir vor einem Jahr nach Johannas Geburt so sehr geholfen eine andere Perspektive einzunehmen, dankbar und lächelnd an sie zu denken. Auch jetzt hat es mich wieder daran erinnert, dass es Johanna gut geht, sie lebt und lebendig ist und das macht mich, trotz allem froh und dankbar. Danke Gott für diese Erinnerung.

 

Dann kam der Samstag, Johannas Geburtstag. Wir konnten ausschlafen, meine Schwester machte uns ein schönes Frühstück und ging dann wieder. Denn das hatten Jonas und ich vorher entschieden, wir wollten diesen Tag für uns haben, ihn zu zweit verbringen, nur wir beide. Wir wollten den Tag so gestalten, wie wir ihn haben wollten und brauchten und mit den Emotionen, die wir hatten und nicht vielleicht mit dem, was gefühlt von uns erwartet wurde, wovon andere Leute ausgingen, dass es uns so oder so geht. Und auch einfach ohne auf andere Menschen reagieren zu müssen. Wir hatten einfach an diesem Tag mit uns selbst genug…

 

Dennoch haben wir uns sehr über jeden Gruß und jede Aufmerksamkeit gefreut, die andere uns geschickt haben. Das hat so gut getan. Ein paar Tage zuvor hatte ich mich gefragt, ob und wer wohl an unsere Johanna und uns denken würde, für wen es wohl auch kein Tag wie jeder andere ist. Ich wusste, dass meine Mama zum Friedhof wollte und meine Schwester hatte mir auch gesagt, dass der Tag für sie auch etwas Besonderes ist und angeboten, wir sollten einfach sagen, wenn wir was bräuchten. Und ein paar gute Freundinnen hatte mich auch vorher schon gefragt, wie es mir mit Johannas näher rückendem Geburtstag geht und wie wir ihn verbringen wollten. Ich hatte Angst, dass sonst vielleicht keiner an Johanna denkt… Eigentlich verrückt, aber es bedeutet mir viel, wenn andere unsere Johanna wertschätzen, was gleichzeitig bedeutet, wenn jemand das nicht tut dann verletzt es mich oft und ich bin enttäuscht. Auch wenn ich weiß, dass Johannas Wert nicht an irgendeiner Reaktion von einem Menschen hängt, ist es schön zu wissen, dass sie auch anderen nicht egal ist und dass wir und unsere Geschichte anderen nicht egal sind. Und die Sorge war wohl auch unberechtigt. Für jede Nachricht, Karte und jedes Geschenke sind wir sehr dankbar und jedes geschriebene Wort hat uns sehr berührt.

 

Nach dem Frühstück packten wir ein bisschen was zum Picknicken ein, schnappten Kamera und Stativ und fuhren los. Wir kauften Heliumballons eine 1 und ein Herz und fuhren in den wunderschönen Wald, in der Nähe unserer ehemaligen Wohnung. Dieser Wald bedeutet mir so viel. Nicht nur weil er wunderschön ist, sondern auch weil das der Wald ist, der zu unserer ersten gemeinsamen Wohnung gehörte, also zu dem Beginn unseren gemeinsamen Ehelebens. Und es gibt noch einen Grund warum mir gerade dieser Wald so viel bedeutet: Wie oft bin ich mit unserem Hund durch diesen Wald gelaufen, an guten Tagen und auch an den herausfordernden Tagen, nach den Fehlgeburten und auch nach Johannas Geburt. Wie oft habe ich im Wald mit Gott diskutiert, geweint, gebetet, mir selbst laut Lieder zu gesungen, an manchen Tagen kam ich erschöpft wieder zu Hause an und an anderen Tagen hat mir die Zeit im Wald, mit Hund und mit Gott so gut getan und mich aufgebaut.

Ich liebe Fotos und die Erinnerungen und Emotionen die ich mit ihnen verbinde
Ich liebe Fotos und die Erinnerungen und Emotionen die ich mit ihnen verbinde

 

Im Wald machten wir einige Fotos zusammen, dank des Fernselbstauslösers klappte es auch gut zu zweit. Ich liebe Fotos und sie bedeuten mir so viel, so viele Erinnerungen und Gefühle sind mit ihnen verknüpft. Jedes Jahr gestalte ich einen Fotoordner von unserem Jahr und ich wollte, dass Johannas Geburtstag auch einen Platz darin bekommt. Es war so herrliches sonniges Wetter, es war zwar etwas windig und die Ballons wollten nicht immer so wie wir wollten, aber es tat so gut eine Art Familienfoto zumachen. Wir lieben unser Mädchen einfach und sind stolz auf sie und sie gehört zu uns.

 

Danach gingen Jonas und ich wandern. Es tat so gut eine Auszeit zu haben (die Samstage sind derzeit ansonsten meist mit Bauarbeiten am und um das Haus gefüllt). Es war schön Zeit zu zweit zu haben, zu reden, sich an Johanna zu erinnern, über unser Leben in den letzten zwei Jahren und unser zukünftiges Leben nachzudenken. Und wir haben für uns festgestellt, dass die Liebe und die Dankbarkeit für Johanna überwiegen. Ja es gibt Momente, da sind wir traurig, da vermissen wir sie schrecklich, aber den Großteil der Zeit sind wir einfach nur dankbar dafür, dass es sie gibt und wir sie bekommen durften.

 

Zwischendurch machten wir eine kleine Pause, aßen Johannas Kuchen (wobei wir die Gabeln vergessen hatten und dann einfach abwechselnd den Kuchen in die Hand nahmen und abbissen -  passt zu uns), machten ein bisschen Autokino (haben wir früher schon gerne gemacht, wandern und dann auf einer Bank oder im Auto bisschen Mittagspause mit Film schauen o.ä.) und gingen dann nochmal spazieren und anschließend noch gemeinsam was essen, bevor wir noch Diesel tankten für den Bagger, den wir die darauffolgende Woche da hatten und nach Hause fuhren.

 

Wir haben, so komisch es vielleicht klingt, Johannas Geburtstag wirklich so sehr genossen. Es war fast etwas wie Leichtigkeit da. Wir haben nicht geweint (ich war selbst überrascht darüber), im Gegenteil, manchmal hatte ich das Gefühl eigentlich vor Freude und Glück hüpfen zu können, vielleicht war es auch diese große Liebe zu Johanna, die gerne raus wollte. Es ging uns so richtig gut. Wir wollen diesen Tag, auch in Zukunft gerne als Familie verbringen. Jonas und ich und unsere kleinen im Herzen. Dieser Tag, Johannas Geburtstag soll bei uns einen Platz im Leben haben, als Familien- und Ehetag, als besonderer Feiertag in unserer kleinen, vielleicht irgendwann Mal größeren Familie. Nicht in erster Linie als Trauertag, auch wenn das Vermissen dazugehört, sondern als Feiertag, als Auszeit, Zeit zum Auftanken und zum Dankbar sein: dankbar für all das Gute, dass wir erleben dürfen, dankbar für unsere Kinder und vor allem auch dankbar für uns beide als Paar.

 

Die unfassbare Liebe, die ich Johanna gegenüber empfinde, war an ihrem ersten Geburtstag nochmal so viel präsenter und intensiver, als sie es im Alltag sowieso schon ist. Und es hat mir geholfen diese Liebe in Vorbereitung und Planung für ihren Tag zum Ausdruck zu bringen.

 

Einfach ein wunderschöner Geburtstag und klar, mit Johanna wäre es noch schöner gewesen, zwischendurch stellte ich mir vor wie wir sie im Kinderwagen schieben würden, sie vielleicht schon ein paar Schritte an unserer Hand machen würde,… Aber irgendwie war sie bei uns, in unseren Herzen und Gedanken.

 

Meine Schwester sagte letztens, dass so kurz Johannas Leben auch war, sie so viele Menschen bewegt, berührt und verändert hat, wie es viele Leute in den vielen Jahren ihres Lebens nicht schaffen. Für uns, für Jonas und mich stimmt das auf jeden Fall. Sie ist unser Geschenk, das uns so viel gegeben hat und sie ist unser Schatz, den wir gut in unseren Herzen bewahren werden. Sie hat uns verändert und geprägt.

Geburtstagsblumen bei Johannas Grab von ihrer Oma
Geburtstagsblumen bei Johannas Grab von ihrer Oma

Vielleicht wunderst du dich, dass du nichts davon gelesen hast, dass wir auf dem Friedhof gewesen sind. Nein, wir waren an Johannas Geburtstag nicht auf dem Friedhof. Ein paar Tage vorher fuhren Jonas und ich auf dem Weg woanders hin am Friedhof vorbei. Und wir hielten spontan an und gingen zu ihrem Grab, das erste Mal seit ihrer Beerdigung. Und wir konnten erneut für uns feststellen, dass das nicht das ist was uns im Trauer- und Heilungsprozess hilft. Ja es war schön, ihren Grabstein nochmal zu sehen, in den wir so viel Liebe und Zeit gesteckt hatten, aber ansonsten zieht es uns dort nicht hin. Ich weiß, dass anderen das Grab ihres Kindes, oder eines anderen geliebten Menschen hilft, einen Ort zu haben, wo sie hingehen können und das ist auch gut so und darf auf jeden Fall so sein. Aber es ist nicht so unser Ding.

Und trotzdem freut es mich, bzw. tut es mir gut zu wissen, dass meine Mama immer mal hingeht und sie auch an Johannas Geburtstag dort war und Blumen hingebracht hat, genauso wie meine Schwester. Wahrscheinlich tut es mir so gut, weil ich so erlebe und sehe, dass unsere Johanna nicht vergessen wird, auch von anderen nicht und da sind wir wieder bei der Wertschätzung von Johanna, von unseren Kindern. Das ist etwas, was ich immer wieder merke wie gut mir das tut, wenn ich merke und sehe, dass Johanna auch von anderen nicht vergessen und wertgeschätzt und geliebt wird. Danke an alle, die unsere Johanna lieb haben und wertschätzen und uns das immer wieder mitteilen und spüren lassen, dass bedeutet uns viel.


Tabea - Ende März 2022