16 Johanna - du wirst große Schwester

Es ist schon einige Zeit vergangen seit ich den letzten Beitrag veröffentlicht habe. Es war viel los. Gute Zeiten, schwierigere Zeiten aber insgesamt überwiegen die guten Zeiten. Nun wird es Zeit für ein Update und ein paar Gedanken, die mich derzeit beschäftigen...


Nach langem Warten auf Untersuchungsergebnisse, Suchen nach neuem Mut für eine weitere Schwangerschaft, zwischenzeitlichem Genießen, dass ich mich wieder stark und kraftvoll fühlen konnte, Genießen von Zeit zu Zweit, Arbeiten gehen und studieren, Bauen und Renovieren sind wir nun wieder „guter Hoffnung“ - wie man das so schön sagt.

 

Aber einfach ist das nicht immer. Wir freuen uns riesig, überdermaßen und können es kaum erwarten unser 4. Kind lebend in den Händen zu halten. Der Titel eines Buches, dass ich geschenkt bekam, fasst es ganz treffend zusammen: Was wenn gute Hoffnung Mut braucht (M. Lommen und C. Mörsch)? Es brauchte Mut wieder den Schritt Richtung Schwangerschaft zu gehen. Ich habe lang gebraucht diesen zu finden, ein gedankliches und emotionales Hin und Her. Es braucht Mut während der Schwangerschaft, Mut zu hoffen und darauf zu vertrauen, dass alles gut gehen kann und Gott alles in seiner Hand hat.

 

Und es braucht Mut sich nochmals dem Verlust zu stellen. Johanna fehlt. Nach wie vor vergeht kein Tag an dem ich nicht an sie denke und ich frage mich ob, dass wohl irgendwann mal so sein wird und ob ich mich dann erschrecke… Und gerade jetzt in der Erwartung unseres geliebten vierten Kindes fehlt Johanna und so viele meiner Gedanken wandern immer wieder zu ihr:

 

Zu dem Erlebten. Erinnerungen, schwere Momente, Leid, Schmerz, Trauer… Wobei ich erstaunlich wenig Angst habe, dass es nochmal passiert und ich danke Gott für dieses Geschenk. Auch diesmal hatte ich wieder so mit Übelkeit und Erbrechen zu kämpfen (und auch immer noch aber es wird besser), dass ich wochenlang nur zwischen Sofa und Bad gelebt habe und ich erschöpft und körperlich so ko war, dass ich keine Kraft hatte mir Sorgen zu machen. So hat dieses Blöde auch etwas Gutes gehabt.

 

Zu Träumereien: Wie es wohl wäre Johanna dabei zu beobachten wie sie große Schwester wird. Die Vorfreude und das Strahlen in den Augen, oder vielleicht auch Verwirrung und schonmal genervt sein. Wie sie liebevoll ihr Geschwisterchen willkommen heißen würde. Ihre Hand die kleine Hand des Babys anfasst. Sie sich fragt, ob sie auch mal so war? So klein und ständig nur am Schlafen und Schreien. Ungeduldiges Warten darauf, dass das Baby größer wird und man endlich besser mit ihm spielen kann? Wäre sie wohl zwischendurch eifersüchtig? Wie gerne ich ein Foto von all meinen Kindern zusammen hätte. Ein richtiges Familienfoto auf dem eine Großfamilie zu sehen wäre, unsere Großfamilie… Aber nein, ja irgendwie sind wir eine Großfamilie und dennoch hoffen wir bald endlich mit einem Kind leben zu dürfen. Jonas und ich haben uns immer eine große Familie gewünscht. Und nun? Wir haben schon eine große Familie, aber so ganz anders als gedacht. Mit wie vielen Kindern werden wir wohl ganz praktisch leben. Mir fehlt etwas der Glaube daran, dass es immer noch eine große Familie wird. Ich kann schwanger sein nicht leiden. Ich freue mich riesig auf das Leben mit unserem Kind und hoffentlich noch weiteren Kindern, aber aufs Schwanger sein könnte ich ehrlich gesagt verzichten.

 

Zu ihr, wie sie wohl wäre, wie sie wohl aussehen würde: Immer wieder stelle ich mir vor wie Johanna hier im Wohnzimmer rumwuselt, ich kanns fast sehen und dennoch sehe ich nichts bestimmtes. Ich kann ihr Aussehen nicht beschreiben, aber ich kann sie manchmal sehen, mir vorstellen, erträumen. Sehe sie mit ihrem Papa herumalbern. Wie er ihr ausgedachte Geschichten erzählt, die sich auch noch reimen. Und manchmal stelle ich mir vor wie ich sie in den Arm nehme und spüre diese tiefe Liebe und Verbundenheit zu ihr. Sie ist mein Kind und wird es immer bleiben.

 

Unser Baby soll niemals darunter leiden, dass es eine große Schwester hat, die bei Gott lebt. Ich habe davon gelesen, dass da einige Gefahren lauern auf die ich achten möchte. Denn verstorbene Kinder sind so "heilig und perfekt", und wir hier auf der Erde sind es nicht. Kinder können einen ganz schön an seine Grenzen bringen, und all das haben verstorbene Kinder in dem Sinne nicht. Sie haben nicht Nächte lang gebrüllt, geben nie Widerworte, etc. sodass die Gefahr besteht Johanna zu hoch zu erheben und zu sehr zu vergleichen. Das will ich nicht. Niemals. Ich möchte, dass unser viertes Kind von seinen Geschwistern weiß, aber sie sollen nie unangenehm über ihm stehen.

 

Man sollte meinen ich schwebe total im Glück. Und ja ich freue mich wirklich, aber wie gesagt, schwanger sein ist nicht mein Ding, fühle mich meistens schlecht, habe kaum Kraft und nichts tun ist echt nicht mein Ding. Absolut nicht. Jonas hat vielleicht recht wenn er sagt, dass es vielleicht gut ist, dass mein Körper mich zwingt mich zu schonen, weil mir sonst das Füße stillhalten schwerfallen würde.

 

Ich danke Gott von ganzem Herzen dafür, dass er die Angst so in Schach hält und uns mit so tollen und einfühlsamen Ärzten gesegnet hat. Die sehr genau schauen, immer wieder verschiedene Werte überprüfen und es einfach sehr ernst nehmen und uns gleichzeitig so viel Mut machen. Sowohl mein neuer Frauenarzt, meine Hebamme, als auch die Ärztin im Krankenhaus, von der wir aufgrund unserer Vorgeschichte zusätzlich betreut werden und die zusätzliche Ultraschalltermine durchführt. Gerade warte ich noch auf dem OP-Termin für die Cerclage. Gerne würde ich auf all das verzichten, aber ich weiß, dass es ein Segen ist, dass wir so liebevoll und eng begleitet und überwacht werden.

 

Ich liebe das Leuchten in den Augen meines tollen Mannes wenn er von unserem Baby spricht. Ich liebe es seine Gedichte zu lesen, in denen so viel Liebe für unser Baby steckt. Das hilft mir durchzuhalten und mich auch zu freuen.

Ich bin gesegnet mit so vielen liebevollen Familienmitgliedern, Freunden, Arbeitskollegen und Bekannten, die mitfiebern, uns begleiten, nachfragen und für uns beten. Dankbar für die liebevolle praktische Begleitung durch meine Eltern. Als ich mit Johanna schwanger war haben wir uns entschieden mein Elternhaus zu kaufen und mit meinen Eltern (in getrennten Wohneinheiten) hier zu leben. Immer wieder gab es im letzten Jahr, während dem vielen Renovieren, Um- und Anbauen Zeiten in denen ich mich gefragt habe: Warum? Mit Kindern schien, dass so eine gute Idee zu sein. Meine Eltern in der Nähe, aufs Dorf zu ziehen in eine Nachbarschaft mit super vielen jungen Familien, aber ohne Johanna und vielleicht ohne jemals Kinder zu haben, wie unsinnig. Ich hab mich so oft unwohl gefühlt, dachte wie doof, jetzt sitzen wir hier fest, ohne Kinder. Oft hab ich mich zurück gesehnt in unsere Wohnung. Aber Jonas hat die Entscheidung nie bereut und er sollte recht behalten. Wie dankbar ich bin, dass meine Eltern so nah sind. So viel übernehmen und uns so unterstützen, dass ich auch wirklich viel Pause machen kann bzw. gerade die ersten 12 Wochen auch einfach nichts machen konnte wegen der Übelkeit, etc.

Gott sieht das große Ganze. Viel weiter als wir. Darum ging es erst heute morgen in der Predigt, die ich geschaut habe. Er sieht viel weiter als wir mit unserer beschränkten Sicht, die ich leider oft gerade in Krisen und schweren Zeiten habe. Ich muss nicht alles toll finden. In der Bibel gibt es einen Vers in dem es heißt, Seid dankbar in allen Dingen (1.Thess. 5,18). Nicht für alle Dinge, sondern IN allen Dingen gibt es Grund zu danken. Ich kann nicht für den Verlust danken, aber ich kann im Verlust danken, für die lieben Menschen, für Gottes Treue und das was wir gelernt haben. Wir müssen uns nur einen Moment Zeit nehmen hinzuschauen und wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott das große Ganze sieht auch wenn wir es noch lang nicht sehen…

 

Ich könnte noch stundenlang schreiben, so viel beschäftigt mich und über so vieles denke ich nach. Frage mich ob ich bspw. den Schlafsack, den meine Mama während meiner letzten Schwangerschaft für Johanna genäht hat, aus ihrer Erinnerungskiste nehme und ihn für unser viertes Kind nutze? Wenn Johanna leben würde, würde ich selbstverständlich ihre Babysachen auch für unser nächstes Kind benutzen, warum auch nicht. Aber jetzt bin ich mir unsicher und hab noch keine Antwort für mich gefunden.

Und vieles mehr geht mir durch den Kopf. Gedanken, die sich Eltern, die diesen Verlust eines Kindes nicht erleben mussten vermutlich nicht unbedingt machen. Doch ich bin erwartungsvoll und ja auch hoffnungsvoll und träume von unserer Zukunft mit unserem Baby. Hoffnungsvoll, weil Gott alles in seiner Hand hat, immer und zu jederzeit, egal was kommt. Und es kommen bestimmt noch viele herausfordernde Zeiten. Doch ich weiß: Gott ist meine Kraft und er hat alles im Griff und sieht das große Ganze.


Tabea - 02. Dezember 2022